Opioid-Krise erreicht Kanada - und könnte bald deutsche Labormediziner beschäftigen

Die vorwiegend durch Einnahme des Schmerzmittels Fentanyl ausgelöste Opioid-Krise hat nach den USA jetzt auch Kanada fest im Griff. Fentanyl und andere suchtmachende Substanzen lassen sich dabei im Urin nachweisen. Auf Labormediziner in Deutschland kommt daher möglicherweise eine zusätzliche Herausforderung zu – freiwillige Drogenscreenings könnten in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Die Überdosis-Krise sei „eine der schwerwiegendsten und beispiellosesten Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit in der jüngsten Geschichte Kanadas“, erklärte unlängst Ya’ara Saks, Ministerin für Psychische Gesundheit und Sucherkrankungen der kanadischen Regierung. Die Überdosis-Krise sei „tragisch und hat verheerende Auswirkungen auf Einzelpersonen, Freunde und Familien im ganzen Land und lässt keine Gemeinde unberührt“.

Tatsächlich belegen die bereits Ende März 2024 publizierten nationalen Daten zu opioid- und stimulanzienbedingten Schäden, dass die Zahl der opioidbedingten Todesfälle in Kanada weiterhin sehr hoch hoch ist. Jeden Tag sterben durchschnittlich 22 Menschen, und täglich werden etwa 80 Notaufnahmen wegen opioidbedingter Vergiftungen aufgesucht. Darüber hinaus gab es von Januar bis September 2023 Health Canada zufolge 33.015 Einsätze des Rettungsdienstes wegen vermuteter opioidbedingter Überdosierungen.

Das sich schnell verändernde und unbeständige Angebot an illegalen Drogen sei „eine der Hauptursachen für diesen Anstieg von Todesfällen, Krankenhausaufenthalten, Rettungsdiensteinsätzen und Besuchen in Notaufnahmen“, so Saks.

Die Statistiken, auf die sich die Ministerin bezieht, sprechen für sich: Bei 82 Prozent aller unfallbedingten Todesfälle durch offensichtliche Opioidvergiftung im Jahr 2023 von Januar bis September war Fentanyl beteiligt – dieser Prozentsatz ist in Kanada seit 2016, dem Beginn der nationalen Überwachung, um 44 Prozent gestiegen. Neuere Substanzen und Verunreinigungen, wie Xylazin und Nitazen, werden häufiger auf dem illegalen Drogenmarkt gefunden.

Die kanadische Regierung hat angesichts der Krise eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Das kanadische Modell sieht laut Saks „ein umfassendes und evidenzbasiertes Kontinuum von Unterstützungsmaßnahmen vor, darunter auch Initiativen zur Drogenprävention, die die Kanadier über die Risiken des Drogenkonsums aufklären, bevor dieser beginnt“.
Das neu eingeführte Präventionsprogramm für Jugendliche zum Drogenkonsum sei „ein Beispiel für die Bemühungen um den Aufbau von Schutzfaktoren, die die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden fördern und Schäden durch Drogenkonsum bei Jugendlichen verhindern“. Das kanadische Modell investiert außerdem in die Strafverfolgung und versucht, den Zugang zu qualitativ hochwertigen Behandlungs-, Nachsorge- und Genesungsdiensten im ganzen Land zu erweitern.

Dazu gehören Maßnahmen zur Unterstützung von Menschen, die derzeit Drogen konsumieren. Bis Oktober 2023 wurden in ganz Kanada mehr als 53.000 Überdosierungen in überwachten Konsumzentren behandelt. Bei einer Überdosierung sterben Betroffene an einem Atemstillstand, eingesetzt wird daher das Gegenmittel Naloxon, das die Blockierung der Atmung schnell aufheben kann. 

Das kanadische Modell jedenfalls erweist sich als effizient, wie Saks resümiert: „Sie schützen die Gemeinschaft, indem sie den öffentlichen Drogenkonsum, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten und die Belastung der medizinischen Notdienste verringern“.

Opiod-Krise könnte nach Deutschland schwappen

Dass die Opioid-Krise demnächst auch Deutschland erfasst, befürchten mittlerweile zahlreiche Suchtforscher. Daher ist die Kenntnis der labormedizinischen Möglichkeiten, Fentanyl und andere suchtrelevante Substanzen zu detektieren, von großer Bedeutung. Das Universitätsklinikum Leipzig bietet hier als PDF eine gute Übersicht über die Nachweiszeiten von Drogen im Urin. Die Tabelle liefert nicht nur für Laien interessante Informationen. Auch Allgemeinmediziner als erste Anlaufstelle für Betroffene erhalten Einblick in ein hierzulande bislang eher wenig beachtetes Thema. Die Daten jedenfalls sind im Falle einer drohenden, deutschen Opioid-Krise wertvoll. So lässt sich Fentanyl bereits 1-2 Stunden nach Einnahme nachweisen – und ist selbst drei Tage nach dem Konsum labormedizinisch detektierbar.


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Lutschtablette (400 Mikrogramm Fentanyl) mit Applikator, Credits: Crohnie/Wikipedia. CC BY-SA 3.0

Lutschtablette (400 Mikrogramm Fentanyl) mit Applikator, Credits: Crohnie/Wikipedia. CC BY-SA 3.0